Ein neuer GAV mit wegweisenden sozialen Fortschritten

Der neu ausgehandelte Gesamtarbeitsvertrages (GAV) für die Basler Pharma-, Chemie- und Dienstleistungsunternehmen setzt für die Privatwirtschaft einige wegweisende Akzente in den Bereichen der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, der Gleichstellung, der gewerkschaftlichen Rechte am Arbeitsplatz und der sozialen Standards. Die Gewerkschaften Unia und Syna zeigten sich heute an einer Medienkonferenz in Basel mit dem Abschluss zufrieden. Keinen Durchbruch gab es hingegen bei der Frage des GAV-Geltungsbereiches. Er bleibt unverändert.

 

Nachdem der bestehende GAV letztes Jahr von der Gewerkschaft Unia ordentlich gekündigt worden war, starteten im vergangenen Dezember die Gespräche zwischen den Sozialpartnern über einen neuen Vertrag. Nach rund 100 harten Verhandlungsstunden und einem Dutzend Treffen der Verhandlungsdelegationen konnte das Vertragswerk heute Morgen unterschrieben werden. Es wird am 1. Mai 2008 in Kraft gesetzt. Die Mitgliederversammlungen der Gewerkschaften Unia und Syna hatten bereits letzte Woche das Verhandlungsergebnis geprüft und ihm mit klaren Mehrheiten zugestimmt.

 

Der neue GAV für die Basler Pharma-, Chemie- und Dienstleistungsunternehmen setzt für die Privatwirtschaft einige wegweisende Akzente in verschiedenen Bereichen.

 

  • Verbesserungen im Bereich Vereinbarkeit Arbeit und Familie
    Der Mutterschaftsurlaub beträgt 18 Wochen (davon können maximal vier Wochen vor der Geburt bezogen werden). Neu gibt es einen Vaterschaftsurlaub von insgesamt 6 Tagen. Zusätzlich besteht für die Väter ein Anrecht, zehn unbezahlte Freitage zu beziehen. Zudem wurde der Anspruch auf drei Tage Versorgungsurlaub für Arbeitnehmende mit Familienpflichten besser geregelt.

  • Gleichstellung / Integration
    Im neuen GAV ist sowohl der Grundsatz «gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit» als auch ein Diskriminierungsverbot auf Grund des Geschlechts verankert.
    Zudem soll mit gezielten Massnahmen die Gleichstellung und die Integration von ausländischen Mitarbeitenden gefördert werden.

  • Gewerkschaftliche Rechte am Arbeitsplatz
    Die Rechte der Arbeitnehmenden-Vertretungen wurden ausgebaut (Mitsprache bei Sozialplänen und bei Festlegung von Bonussystemen). Zudem gibt es neu ab 250 unterstellten Mitarbeitenden ein Anrecht auf mindestens 30 Prozent Freistellung für die Tätigkeit der Arbeitnehmenden-Vertretung.

  • Verbesserung des Kündigungsschutzes / Verwarnungen
    Es ist ein erweiterter Kündigungsschutz von 12 Monaten für Arbeitnehmende ab Alter 55 vorgesehen. Zudem wurde das Verfahren bei Verwarnung weiter verfeinert.

  • Die Kinder- und Ausbildungszulagen liegen neu 10 Prozent über dem gesetzlich festgelegten Anspruch. Diese Beträge werden per 1. Januar 2009 erhöht.

  • Regelung bei Schichtarbeit
    Die Zuschläge bei Schichtarbeit und für Mehrarbeit bleiben unverändert und bewegen sich weit über dem gesetzlichen Niveau. Für Mitarbeitende, die aus medizinischen Gründen keine Schichtarbeit mehr leisten können, soll in Zusammenarbeit mit der Personalvertretung nach Alternativen gesucht werden.

  • Fünf Wochen Ferien für alle
    Alle dem GAV unterstellten Mitarbeitenden haben neu einen Anspruch auf mindestens fünf Wochen resp. 25 Tage Ferien. Ab Alter 46 bis 50 steigt der Anspruch kontinuierlich auf 30 Tage an. Jugendliche bis zum 20. Altersjahr haben einen Anspruch auf 27 Tage Ferien.

  • Die Integration der bisherigen Protokollerklärungen in den GAV
    Die bisherige «leane» GAV wurde zu einem umfassenden und transparenten Vertragswerk ausgebaut, in dem sämtliche bisherigen Protokollerklärungen und ergänzenden Vereinbarungen integriert wurden.

Der Unia-Branchenverantwortliche Corrado Pardini bezeichnete heute an der Medienkonferenz den Vertragsabschluss als wichtigen Meilenstein für die Basler Pharma- und Chemiebranche. «Mit unseren innovativen Vorschlägen ist es uns gelungen, einen Teil des Rückstandes der Basler Pharma- und Chemieunternehmen bei den Arbeitsbedingungen wettzumachen. Wir haben damit einen Prozess eingeleitet, um den GAV der Basler Pharma- und Chemieunternehmen wieder zu einem der fortschrittlichsten und innovativsten GAV der Schweiz zu machen», stellte er fest.

 

Für Arno Kerst, Branchenverantwortlicher der Gewerkschaft Syna, sind die Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie und die höheren Kinder- und Ausbildungszulagen wichtig. Er betonte deshalb: «Wenn das Personal als wichtigstes Kapital – neben den Shareholdern – gelobt wird und die Manager die Wichtigkeit der Work-Life-Balance in den Hochglanz-Broschüren der Unternehmen hervorheben, so sollen diese Bekenntnisse auch im GAV ihren Niederschlag finden!»

 

Kritik formulierte allerdings Bernd Körner, Betriebskommissionspräsident Novartis und Präsident der Unia-Branche Chemie/Pharma: «Für mich ist es schlicht unverständlich, dass es die Arbeitgeber immer noch ablehnen, die ausgehandelten Fortschritte allen Angestellten mit einer Unterstellung unter den GAV verbindlich zu garantieren.» Denn der GAV regelt nicht nur die Arbeitsbedingungen der rund 5'100 unterstellten Mitarbeitenden, sondern hat auch direkte Auswirkungen auf die Standards für die Einzelverträge der fast 18’000 weiteren Angestellten. «Ohne Unterstellung unter den GAV werden die berechtigten Ansprüche der Angestellten mit Einzelarbeitsverträgen auf den sozialen Fortschritt nicht anerkannt.»

 

Für die Gewerkschaften bleibt deshalb die Ausweitung des GAV-Geltungsbereiches ein aktuelles Thema. Und sie werden Anstrengungen unternehmen, um den Organisationsgrad bei den betroffenen Angestellten zu erhöhen. In einer Umfrage hatten sich rund 800 Angestellte mit Einzelverträgen dafür ausgesprochen, dem GAV unterstellt zu werden.

 

 

Für Rückfragen:

Corrado Pardini, Nationale Branchenleitung Unia

Arno Kerst, Nationale Branchenleitung Syna

Bernd Körner, Betriebskommissionspräsident Novartis